‘Wo die alten Zeiten noch lebendig sind’ – so lautet der Titel eines Beitrags über Schwalmtals Buchladen, die Buchhandlung am Dom von Ursula Freitag, der schon vor ein paar Jahren hier erschienen ist. Das Geschäft gehört zu meinen Lieblingsläden in Schwalmtal. Und ich bin fast sicher, dass viele andere auch so denken. Als ich diese Zeichnung von Marcel Schlag aus dem Jahr 1987 entdeckte, hatte ich das Gefühl, man müsste noch mal mehr über dieses geschichtsträchtige Ladenlokal erfahren und schreiben. Bestimmt gäbe es noch sehr viel mehr aus alten Zeiten zu erzählen und zu zeigen. Dass sich der zauberhafte Buchladen in Ursula Freitags Elternhaus befindet und dass dort früher die Bäckerei ihrer Eltern war, wissen sicher viele Leute in Schwalmtal. Auch, dass man dort antiquarische Bücher mit der alten Waage aus dem elterlichen Geschäft abwiegt, ist bestimmt für viele nichts Neues. Aber es gibt immer wieder Neubürger:innen bei uns, die nichts von alledem wissen. Auch für die schreibe ich hier.
Insbesondere hatte mich der “Störer” auf der Zeichnung inspiriert, Usch – wie ich Frau Freitag nenne – noch einmal um ein kurzes Interview zu bitten. Schließlich bin ich sicher nicht die einzige Kundin, die an jedem Monatsanfang gespannt darauf wartet, welches Gedicht Frau Freitag dieses Mal ausgewählt hat. Ich bin dankbar, dass Usch gleich bereit war, meine Fragen zu beantworten.
Ist für dich der Störer auf der Straße auch eine Erinnerung an früher, also stellst du ihn dorthin, weil dort immer einer gestanden hat?

“Ich habe zuerst gar nicht kapiert, was Du mit STÖRER meinst und finde „KUNDENSTOPPER“ besser, denn so viele Leute bleiben stehen, (STOPPEN ab) um das Gedicht zu lesen, weisen andere Passanten darauf hin und/oder fotografieren es. Ich nenne es schlicht meine Tafel. Der Kundenstopper von Marcel Schlag ist erfunden. Meine Mutter hatte nie einen vor dem Laden stehen.
Aber zu dem Thema hier eine nette Geschichte:
In der ersten Zeit nutzte ich das Schild um für Bücher und Devotionalien zu werben. Mit den Jahren wurde dies müßig, denn da war mein Angebot ja etabliert. So begann ich Buchzitate, Aphorismen oder Gedichte darauf zu schreiben. Irgendwann hatte sich der Rhythmus eingespielt, dass ich zu Monatsbeginn die Tafel neu beschrieb. Im vergangenen Jahr stand am 10. Februar noch mein Januartext auf der Tafel. Da betrat eine Kundin den Laden und klagte ein, dass es doch nun wohl Zeit wäre die Tafel neu zu beschreiben, denn immerhin sei ich ja 10 Tage im Verzug. So entstehen ungeschriebene Gesetze.
Abgesehen von der Tafel, die gar kein Relikt aus der Vergangenheit ist und der alten Registrierkasse – was erinnert im Laden noch an die elterliche Bäckerei? Gibt es noch mehr?
Die Kasse ist noch aus unserem Laden – damit habe ich als Kind Kaufladen gespielt. Mein Papierkorb ist ein Litermaß-Eimer für Brotteige aus der Backstube; beides von meinen Eltern.
Der Papierabroller und ein altes Kundenbuch, in dem angeschrieben wurde, sind sogar noch von meinen Großeltern. Das Messer des Abrollers ist auch nach über 100 Jahren immer noch scharf.
Die Bücherkörbe, die bei schönem Wetter vor dem Laden stehen, waren einst Brötchenkörbe. Brötchen gingen da allerdings mehr rein. Und auf der Waage, mit der ich heute antiquarische Bücher abwiege, habe ich als Kind schon Schwarzbrot abgewogen.
Der Laden selber war immer ein Geschäft. Bis zum Ruhestand meiner Eltern auch immer eine Bäckerei, seit Jahrhunderten. Ebenso gehörte das Haus auch immer meiner Familie, immer Bäcker! Alle Generationen haben etwas daran oder darauf gebaut, erweitert und umgestaltet. Der älteste Keller ist um 1500 datiert. Fazit: Das Haus und ich haben die gleiche DNA. 😉
Erzähl gern, was dir spontan zu diesem Bild einfällt, wenn du es siehst.
Spontan fällt mir ein, dass ich kein Foto vom Haus habe mit der Glasleucht-Schrift „Bäckerei Jansen“. Sollte ein Waldnieler davon eine Aufnahme haben, wäre ich sehr glücklich, davon eine(n) Abzug/Datei zu bekommen.
Es gibt noch ein ähnliches Bild von Marcel Schlag. Es zeigt meinen Vater (mit übertrieben dickem Bauch), wie er vor dem Eingangstor steht.
Mein Vater, Frisör Walter Wolters und Textilhändler Manfred Theisen waren ihr Leben lang Freunde. Häufig sah man sie zusammen an unserem Tor stehen und sich unterhalten. Auch gingen sie regelmäßig jeden Sonntag vor dem Frühschoppen eine Runde durch Waldniel spazieren. Sie wurden das „Waldnieler Dreigestirn“ genannt.
(Anmerkung Biggi Mestmäcker: Manfred Theisen war mein Nachbar. Er ist im Juni dieses Jahres verstorben. Ich bin sicher, er würde sich über diese Erinnerung sehr freuen!)
Hast du noch erlebt, dass durch die Kuhstraße Kühe getrieben wurden?**
Nein, daran erinnere ich mich nicht mehr. Gegenüber war in meiner Kindheit noch Birx-Hof (heute Café am Markt), aber Nutztiere hatten sie keine mehr. Der Wall wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts geschliffen. Somit fiel auch das Kuhtor weg.
Weißt du, wann die Straße umbenannt wurde?**
Nein, das weiß ich nicht. Aber, obwohl meine Familie nie umgezogen ist, hatten wir häufige Adresswechsel:
- Burgwaldniel, Kuhstraße 7
- Waldniel, Kuhstraße 7
- 4056 Waldniel, Gladbacherstraße 7
- 4056 Schwalmtal 1, Gladbacherstraße 7
- 4056 Schwalmtal, Gladbacherstraße 7
- 4056 Schwalmtal, Marktstraße 7
- 41366 Schwalmtal, Marktstraße 7
Wie immer am Ende meiner Interviews: Was möchtest du gerne sonst noch loswerden?
Leider hat es in den letzten Jahren ein großes Einzelhandelssterben gegeben und unsere Straße konnte man zeitweilig nicht mehr Geschäftsstraße nennen. Doch so peu à peu füllen sich die Ladenlokale wieder und Anja Wolters vom Salon Wolters, und ich, die beiden Altvorderen, bekommen nach und nach wunderbare neue Nachbarn und es wird auf der Straße beim Schild rausstellen oder Straße kehren wieder „jenobboart“ (genachbart). Ich hoffe, dass sich die Verbraucher wieder stärker dem Einzelhandel zuwenden, damit in Gemeinden und Städten dieses Flair aufleben kann.
Liebe Usch, das ist ein wunderbares Schlusswort, ich danke dir dafür.
Ursula Freitag sucht übrigens jemanden, der oder die ihren Buchladen übernimmt, wenn sie selbst in den Ruhestand geht. Mit ihr wünschen sich sehr viele Bürgerinnen und Bürger Schwalmtals, dass ihnen ein Buchladen erhalten bleibt.
**Nachgefragt bei Klaus Müller vom Heimatverein
Wenn’s um das historische Waldniel geht, gibt’s keinen besseren Ansprechpartner als Klaus Müller vom Heimatverein. Ihn habe ich gefragt, ob er mehr weiß zur Kuhstraße. Wann sie umbenannt wurde, wusste er auch nicht, aber er konnte mir sagen, dass das Kuhtor nie an der Kuhstraße selbst gestanden hat, sondern vielmehr vor Waidmannsheil am heutigen Wallweg. Vermutlich sind durch die Kuhstraße gar keine Kühe getrabt, denn der Birxhof hatte den Zugang zu Stall und Scheune immer an der Lange Straße am Ende vom Hotel Rath, wo auch heute noch die Toreinfahrt ist. Außerdem schickte er mir das Bild einer alten Karte, auf der man die Kuhstraße und alle umliegenden Straßen und Wege gut erkennen kann. Wer sich für die Geschichte Waldniels interessiert – Klaus Müller hat sie hier auf der Seite des Heimatvereins aufgeschrieben.
*Werbung. Ich wurde für diesen Beitrag nicht bezahlt und auch nicht dazu aufgefordert. Wem er trotzdem wie Werbung vorkommt: Für dieses Geschäft werbe ich ganz freiwillig und von Herzen gern.
So ein schöner Bericht und tolles Interview mit Usch. Heimatgeschichte ist immer überaus spannend. Hoffentlich bleibt meine Lieblingsbuchhandlung noch lange bestehen.
Vielen Dank! Ja, das wünsche ich mir auch!